Der Bahnhof, der niemals schläft
„Dingdong. Nächster Halt: Hannover Hauptbahnhof. Dieser Zug endet hier. Wir wünschen allen Passagieren eine gute Weiterfahrt oder einen schönen Aufenthalt in Hannover.“ Knack. Die Lautsprecheransage ist beendet. Im Eingangsbereich des Wagens warten die Leute, bis der erixx hält und die grüne Lampe die Türen freigibt. Ich steige aus. Am Gleis gegenüber hält ein ICE. Ein Mann hievt einen schweren Koffer auf den Bahnsteig und eilt in Richtung Treppe. Mit anderen Menschen schiebe ich mich die Treppe herunter. Emsiges Treiben am Einkaufsbahnhof: Zeitschriftenläden, Boutiquen, Pralinengeschäfte, Drogerie, Supermarkt, Friseur, Nagelstudio und unzählige Imbisse. Es ist Dienstagnachmittag, aber auch am Wochenende und die ganze Nacht hindurch halten Züge und fahren wieder ab vom Bahnhof, der niemals schläft. Hier ist immer was los.

Eine Fahrkarte für mehr Sicherheit
Ich gehe durch den Ausgang durch das große Portal hinaus auf den Bahnhofsvorplatz und schaue direkt auf einen gigantischen Pferdehintern, auf dem König Ernst August von Hannover sitzt. Vor dem Denkmal erwartet mich Historikerin Stella Kohlstedt. Lachend sagt sie: „Wenn man aus dem Bahnhof herauskommt, hat man nicht unbedingt die beste Aussicht.“ Die Stadtführerin führt mich und einige weitere Personen heute nicht nur in geheimnisvolle Katakomben, sondern erzählt uns auch viel Wissenswertes über Hannovers Bahnhof.
Wir gehen ein paar Schritte über den Bahnhofsplatz und bleiben vor einem großen Kasten stehen. Die Stadtführerin fragt: „Weiß jemand, was das ist?“ Gemurmel in der Gruppe. Einige fangen an zu raten: „Werbehäuschen?“ – „Toiletten?“ – „Was zum Belüften?“ Tatsächlich, so die Stadtführerin, ist unter dem Bahnhof ein 3.500 Quadratmeter großer Bunker für bis zu 20.000 Leute. Im zweiten Weltkrieg benötigte man allerdings eine gültige Fahrkarte, um in den Bunker zu kommen. So kauften sich die Hannoveraner bei Luftangriffen das günstigste Ticket, um einen sicheren Platz zu bekommen.
Stella Kohlstedt sagt: „Das letzte Mal wurde der Bunker 2006 genutzt. Da wurde die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland ausgetragen und ein Zug voller mexikanischer Fans strandete hier. Hotels waren alle ausgebucht. Da fiel jemandem ein, dass es unter dem Bahnhof den Bunker mit Feldbetten gibt.“ Sie hält ein Bild hoch, das zeigt, wie eng es in dem Bunker tief unter der Erde ist. Bei der Vorstellung läuft mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. „Die Mexikaner haben es als Abenteuer gesehen und da unten ordentlich gefeiert“, schließt Kohlstedt.
Hannover als Vorbild für New York, London und Co.

Weiter geht es auf und ab vor dem Gebäude und an König Ernst August von Hannover vorbei. Stella Kohlstedt spricht von den zwei Jahren Bauzeit des schlossähnlichen Gebäudes, während die Statue des Königs auf dem Pferd ganze zehn Jahre in Anspruch nahm. Die Zuhörer erfahren, warum Hotels in Bahnhofsnähe so wichtig waren und welche Auswirkung der Krieg gegen die Preußen auf die Entwicklung hatte. Tatsächlich war der Bahnhof in Hannover Vorbild für weltweite Innovationen. So wurden mit wachsendem Straßenverkehr die Gleise einfach höher gelegt, damit die Autos nicht ständig vor den Schranken standen. Der Verkehr floss durch die Unterführung weiter. Das sogenannte „Hannover-System“ wurde in vielen Metropolen der Welt umgesetzt.
Allerdings war der Hauptbahnhof Hannover als wichtiger Knotenpunkt in Deutschland auch ein Angriffsziel im Zweiten Weltkrieg. 90 Prozent der Stadt wurde im Jahr 1943 zerbombt. Die dicken Außenmauern des Bahnhofes hielten stand, ragten skelettartig auf dem Platz in die Höhe. So konnte der Bahnhof nach historischem Vorbild wieder aufgebaut werden, um heute als beliebte Flaniermeile vielen Menschen alles zu bieten, was sie bei einem kurzen oder langen Aufenthalt benötigen.
Geisterstation tief unter dem Hauptbahnhof
Weiter geht die Tour über den Raschplatz zu einer Geisterstation im Hauptbahnhof. Stella Kohlstedt sagt: „Eigentlich sollten die vier Linien A bis D die Innenstadt in Tunneln queren, um den Verkehr nicht zu beeinträchtigen. Die Tunnelstrecken A bis C wurden fertiggestellt. Seitdem Anfang der 1970er Jahre der D-Tunnel vorbereitet wurde, steht er im Rohbau.“ Die Linie fährt nun überirdisch und so wurde der Geisterbahnhof nie für seine eigentliche Bestimmung genutzt. Für Alternativen gab es schon viele kreative Vorschläge vom Schwimmbad über eine Lasertag-Arena bis hin zur Galerie. Große Leinwände zeigen, dass es hier tatsächlich mal eine Ausstellung gab. Vom Raschplatz führt zwar noch ein funktionierender Fahrstuhl zur Station der D-Linie, die Geisterstation unter dem Hauptbahnhof erreichst du aber nur während der Führung von Stattreisen e.V. Die Führung „Hauptbahnhof Hannover“ findet zwei Mal in der Woche statt.